„TV Holzheim …, das ist doch da, wo der Oskar gespielt hat. Der Oskar, der hat sie uns immer rein gemacht.“ So reagierte Bernd Heller, früherer Moderator des „Aktuellen Sportstudios“ im ZDF, Leichtathlet (Stabhochsprung) und in seinen Jugendjahren Handballer in Gießen, als er erfuhr, dass sein Gegenüber eben vom TV Holzheim kam. Und der „Oskar“, den er meinte, klar, heimische Handballkenner wissen es längst, ist Oskar Jäger, der Torjäger mit der linken Wurfhand, eines der renommiertesten Aushängeschilder in Sachen Handball beim TV Holzheim.
Aber über die Ortsgrenzen hinaus bekannte Namen hat der TVH in seinen blau-weißen Vereinsfarben zahlreich vorzuweisen, seit vor über 75 Jahren, im Jahr 1932, junge Männer im TV 1908 Holzheim auch die Trendsportart Handball (so würde man es heutzutage bezeichnen) ausüben wollten. Vom „Buße-Karl“ (Karl Buß) als Mittelstürmer ist oft die Rede, wenn die Zeit vor 1945 beleuchtet wird. Und Richard „Paul“ Kirschstein-Freund berichtet von den 50er Jahren: „Wenn die Erste Mannschaft ein Heimspiel hatte, war ein Großteil der Dorfbevölkerung auf den Beinen. Die Karawane zog sonntagnachmittags zum Sportplatz. Meine Idole waren seinerzeit Ottmar Jäger (Torhüter und Bruder des erwähnten Oskar Jäger) und der wurfgewaltige „Hocks-Robert“ (Robert Schneider). Mit stoischer Ruhe ertrug dieser rüde Attacken des Gegners. Sein Bruder (Otto Schneider) hatte ein anderes Naturell.“ (Anmerkungen durch die Redaktion)
Der Blick zurück offenbart noch mehr Namen mit Klang. Erich Sander, Reinhold Keller, Burkhard Kurreck, Hans-Wilhelm Szembek, die Schneider-, die Luh-, die Schwellnus- und die Kartak-Brüder, das Torhüter-Duo Klaus-Peter Brendel/Dietmar Jäger seien als Beispiele genannt, wobei jede Aufzählung immer auch die Gefahr des Weglassens in sich birgt. Und zu den vielen Spielern (und später Spielerinnen) gehören ja auch die Trainer, Betreuer und Verantwortlichen, die ihren wichtigen Anteil am Erfolgsmodell TVH haben. Auch wenn der Handball-Spielbetrieb in Holzheim seit einigen Jahren unter den Vorzeichen der HSG Pohlheim abläuft, ist der Klang des TV Holzheim im Zusammenhang mit Handball immer noch ein (sehr) guter.
Während der Fußball unbestritten seinen Geburtsort auf den britischen Inseln hat und von dort zum Ende des 19. Jahrhunderts auch aufs Deutsche Reich überschwappte, gilt Handball als urdeutsche Sportart. Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts als Turnspiel ursprünglich für Frauen und Mädchen gedacht, wuchs im Laufe der 20er Jahre bei den Männern schnell sein Stellenwert, wobei sich bis auf den kleineren Ball vieles an den Fußball anlehnte, etwa die Größe des Feldes, weshalb es über die ersten Jahrzehnte vor allem als Großfeld-Handball für Furore sorgte. In Holzheim knüpfte Handball an eine langjährige Faustball-Tradition an.
Und so beliebt wie Faustball war, so beliebt wurde auch Handball. 1932, im ersten Jahr bereits wurden eine 1. Mannschaft und eine Reserve gestellt und im Jahr darauf eine Schüler- und eine Jugendmannschaft. Die ersten Erfolge stellten sich 1934 ein mit dem Aufstieg von der B- in die A-Klasse. Mit der dortigen Meisterschaft 1938 war der Aufstieg in die Bezirksklasse verbunden. Erste Nachwuchserfolge kamen hinzu mit der Teilnahme an den von der Hitler-Jugend ausgerichteten Hessenmeisterschaften 1938 und ’39. Auch hier setzte der 2. Weltkrieg ein krasses und folgenschweres Ende.
Wie im gesamten Turnverein war auch bei den Handballern nach dem Ende des Nazi-Wahnsinns der Wunsch nach Wiederaufnahme des Sportbetriebs groß – trotz aller Misslichkeiten im Alltagsleben. Schon 1946 wurden zwei Großfeldmannschaften bei den Aktiven und zwei Jugendmannschaften für den (anfänglich eher provisorisch anmutenden) Spielbetrieb gestellt. Der TV Holzheim hatte im heimischen Bezirk bald wieder einen guten Namen – doch unter welchen Bedingungen: Trainer fehlten genauso wie Bälle. Ältere Semester erzählen immer mal wieder die Geschichte, wie sie in den 50er Jahren „Mehls Toni“ (Antonie Mehl) den einzigen Ball des Vereins abluchsten, um auf dem Sportplatz damit zu spielen. Der „Höfer-Willi“ habe aufpassen müssen, wenn Ewald Mehl, der offizielle Hüter des Spielgeräts, am frühen Abend mit dem Fahrrad von der Arbeitsstelle in Lich kommend von Dorf-Güll aus nach Holzheim herauf gefahren sei, worauf der Ball schnellstmöglich wieder in die Beune zu Mehls gebracht wurde.
Auch Auswärtsspiele waren angesichts der wenigen Motor-Fahrzeuge im Dorf ein größeres Problem, so dass oftmals per Fahrrad zu den Begegnungen gefahren wurde. Aus den folgenden Jahr(zehnt)en gibt es viele Geschichten, wie einzelne PKW gerade bei Jugendmannschaften weit über die Grenzen des Erlaubten mit Insassen gefüllt wurden, wenn es nach Hüttenberg, Krofdorf, Lich oder anderswo hin ging.
Dass in diesen Jahr(zehnt)en der Blick auf den Sport ein anderer war, verdeutlicht die Erinnerung von Paul Kirschstein-Freund, dessen Familie 1959 nach Watzenborn-Steinberg umgezogen war. Er spielte erst beim TV Hausen, wechselte dann aber wieder zu „seinem“ TV Holzheim. „Meine Mutter hatte für diesen Schritt kein Verständnis. Sie vertrat die Auffassung, man dürfe nur bei dem ortsansässigen Verein spielen. Einige Tage sprach sie nicht mit mir. Es dauerte lange, bis sie sich mit meinem Wechsel abgefunden hatte“, so der Erzähler.
Kirschstein-Freund bekennt auch, der erste „Halb-Profi“ des TV Holzheim gewesen zu sein. Denn während seines Studiums in Würzburg kam er extra zu den Spielen angereist, wobei der Verein die Kosten von 27,00 DM für Hin- und Rückfahrt per Bahn nach Gießen übernahm.
Nicht, dass es in jenen Jahren nicht auch einiges zu Feiern gegeben hätte. Siege, Pokalerfolge und Meisterschaften zählt die Chronik einige auf. Aber richtig aufwärts ging es erst Anfang der 60er Jahre, als sich Erich Sander als Trainer erstmals systematisch und intensiv der Handball-Sache annahm – und von Karl-Heinz Hock als Abteilungsleiter wirkungsvoll unterstützt wurde. 1963 folgte der erste Aufstieg in die Verbandsliga, 1969 kam die Nordhessen- und die Vizehessenmeisterschaft hinzu.
Ganz nebenbei hatte Hock (der wenig später an den Folgen eines Verkehrsunfalls starb) 1967 eine Frauenhandballabteilung ins Leben gerufen, die immerhin bis in die 1. Bezirksliga aufstieg und lange Jahre auf Bezirksebene eine gute Rolle spielte.
Bei den Männern – wie gesagt alles auf dem Großfeld – wurde 1972 die Oberliga erklommen. Dort, unter Sander-Nachfolger Heinz-Willi Zeiss, war 1975 die Hessenmeisterschaft zu feiern. Immerhin der größte Erfolg des TVH in seiner bis dahin 33-jährigen Handball-Geschichte. Das war aber schon der Anfang vom Ende des Großfeld-Handballs. 1978 wurde die Oberliga-Mannschaft zurückgezogen. Großfeld spielte für einige Jahre noch ein Schattendasein, das Geschehen hatte sich längst in die Halle verlagert.
Im Hallenhandball trug die Arbeit von Heinz-Willi Zeiss ebenfalls Früchte – und das, obwohl erst 1978 mit der Sporthalle Holzheim eine „eigene“ Halle zur Verfügung stand und die Zeit der Ausweichquartiere für Spiel und Training (teilweise erst nach 21 Uhr) ein Ende hatte. Nach der Bezirksmeisterschaft 1977 und dem Aufstieg in die Verbandsliga folgte – unter Trainer Peter Knorr – der Durchmarsch durch die Oberliga. Als Hessenmeister stiegen die Blau-Weißen aus Holzheim 1980 fast nur mit Eigengewächsen in die Regionalliga auf – was seinerzeit die Spielklasse direkt unter der Bundesliga darstellte! Der TV Holzheim war in vieler Munde. Nur knapp scheiterte der TVH im Jahr darauf am Aufstieg in die neu gebildete 2. Bundesliga.
Auswärtsfahrten mit vier Bussen, ein lebendiger Fanclub, an die 500 Zuschauer bei den Heimspielen bei gerade mal 1800 Einwohnern in Holzheim und die zweimalige Wahl zur „Mannschaft des Jahres“ durch die Leser der Gießener Allgemeine waren Randaspekte der damaligen Erfolgsjahre in der Südwestliga. Die hielten bis 1987, als die Regionalliga wieder verlassen werden musste. Den Trend der Zeit mit teuren auswärtigen Spielen konnte (und wollte lange) der TV Holzheim nicht mitmachen. Doch tauchten die Holzheimer Handballer nicht in der Versenkung unter. Nur in der Saison 1998/99 hieß es für ein Jahr Bezirksliga. Es folgte: eine weitere glorreiche Meisterschaft, die sofortige Rückkehr in die Oberliga und ein neuer Aufwärtstrend unter den Vorzeichen der HSG Pohlheim, der ein Jahr vor dem großen TV-Jubiläum (als Zweitplatzierter der Oberliga) 2007 zum Aufstieg, pardon nach 20 Jahren zur Rückkehr in die Regionalliga Südwest führte. Ähnlich wie vor dem ersten großen Wurf in der Halle über 25 Jahre zuvor war auch diesmal die Rückbesinnung auf die eigene Jugend(-Arbeit) der Ausgangspunkt des Erfolges.
Wie die Geschichte gezeigt hat, gehört eine gute Jugendarbeit zur Basis des Erfolgs beim TV Holzheim. Und in Jahren, in denen es bei den Aktiven nicht so lief, klemmte es auch bei der Nachwuchsförderung. Doch weist die TV-Geschichte einige Erfolge auf, angefangen mit der Bezirksmeisterschaft der Jugend 1936 auf dem Feld. In der Halle sorgte Trainer Klaus Trotz Ende der 70er Jahre erst mit der A-Jugend, dann Anfang der 80er Jahre mit der E- und D-Jugend für überregionales Aufsehen. Dann feierte Wilfried Schäfer Anfang der 90er Jahre mit seinem Jahrgang große Erfolge. Und Anfang des Jahrtausends (unter den Vorzeichen der JSG Limes, dem Nachwuchs-Vorläufer der HSG Pohlheim) legte Ortwin Fay mit seinen Schützlingen nach.
Die größten Erfolge feierte aber Volker Schneider mit dem kontinuierlichen Aufbau einer Mannschaft, die in der B- und A-Jugend dreimal hintereinander (2005, 2006 und 2007) die Südwestdeutsche Meisterschaft errang und teilweise bis ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft vordrang. Auch hier lebte die schon zitierte Begeisterung rund um die Mannschaft beim TV Holzheim wieder auf. Und aus den erwähnten Wurzeln in der Jugendarbeit schöpft auch die aktuelle Regionalliga-Mannschaft den Großteil ihres Reservoirs. Was auch den TV Holzheim mit besonderem Stolz versieht – gerade im 75. Jahr seit Einführung des Handballspiels in Holzheim.
Albert Mehl
Der TV 08 Holzheim ist einer von 5 Stammvereinen der
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